In einem Interview mit der Thurgauer Zeitung sprich Samuel Röthlisberger über die aktuelle Situation bei Habegger und in der Veranstaltungsbranche, in der er seit 19 Jahren tätig ist.
Samuel Röthlisberger ist Director of Creation bei der Veranstaltungsfirma Habegger AG mit 150 Festangestellten in der Schweiz und Hauptsitz in Regensdorf. Röthlisberger ist Mitglied der dreiköpfigen
Geschäftsleitung. Seine Karriere startete Röthlisberger mit einer Fotografenlehre, wechselte danach zum Fernsehen, wo er als Kameramann und Redaktor arbeitete. Seit 19 Jahren ist er als Regisseur und später auch als kreativer Leiter bei der Habegger AG angestellt. Der 48-Jährige ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Er lebt mit seiner Familie in Weinfelden. Seit zwei Jahren veranstaltet er dort mit der Familie Events auch in der Villa Schaad.
– 07.10.2020
Wie läuft das Geschäft der Habeggar AG im Coronajahr 2020?
Sehr schlecht. Wir haben dieses Jahr 60 Prozent unseres Umsatzes verloren, im ersten Halbjahr haben wir statt 20 Millionen gerade mal noch sechs Millionen Umsatz gemacht. Dieses Jahr ist gelaufen und für nächstes Jahr sieht es nicht viel besser aus.
Was bedeutet das für die 150 Mitarbeiter der Firma?
65 Prozent unserer Mitarbeiter sind seit dem 13. März zu 100 Prozent in Kurzarbeit
– seit über einem halben Jahr. Nur dank der Kurzarbeit und unseren Reserven können wir sie in der Firma halten. Es ist aber ganz klar unser Ziel, alle weiter zu beschäftigen und keine Kündigungen auszusprechen.
Wie verkraften die Mitarbeiter dieses monatelange Nichtstun?
Die einen besser, andere haben Mühe damit. Anfangs gingen wir ja auch davon aus, dass nach ein, zwei Monaten alles wieder vorbei ist und wir spätestens im Sommer wieder arbeiten. Aber es kam anders. Die schwierigste Zeit für unsere Leute war nach den Sommerferien, als all ihre Kollegen die Arbeit wieder aufnahmen, sie aber weiterhin Zuhause bleiben mussten. Da hat sich wie eine dunkle Decke übers Ganze gelegt. Unsere Leute kommen sich nicht mehr gebraucht vor, ihnen fehlt die Gesellschaft. Diese psychologischen Aspekte sind ein noch ungelöstes Feld.
Wie kümmern Sie sich um die Mitarbeiter?
Wir machen regelmässig Live-Streams, wo wir den Mitarbeitern erzählen, was unsere Pläne sind und wie es weitergeht. Wir fragen auch, wie es ihnen geht. Anfangs gab es kaum Probleme, aber unterdessen doch für einige. Die Aussicht, dass gewisse Jobs bei uns über ein Jahr nichts zu tun haben, ist wirklich schwierig. Deshalb haben wir auch begonnen, einige Mitarbeiter – sei es auch nur für ein-zwei Tage pro Woche – in die
Firma zu holen und sie zu beschäftigen.
Konnten Sie Mitarbeiter auch zu anderen Arbeitsstellen vermitteln?
Anfangs war die Landwirtschaft ein guter Abnehmer und einige Mitarbeiter haben sich selber Jobs im Gastgewerbe gesucht. Nun hilft uns vielleicht auch die Erntesaison wieder. Unsere Logistikabteilung hat auch schnell reagiert und für gewisse Online-Händler Lieferdienste übernommen.
Wie lange kann die Kurzarbeit in Ihrer Branche noch anhalten?
Unsere Branche hat die Zusage für insgesamt 18 Monate, was eine grosse Entlastung
ist. Es sieht so aus, als müssten wir das auch ausschöpfen. Denn die laufenden Fixkosten sind wie eine Zeitbombe, die tickt. Nur ein Jahr Kurzarbeit wäre für unsere Branche verheerend, auch im nächsten Frühling haben wir praktisch noch keine Aufträge.
Weshalb sind ihre Kunden denn so zurückhaltend?
Unsere Kunden reagieren auf die Pandemie noch sensibler als Privatpersonen. Sie stellen sich zweimal die Frage: Will ich wirklich eine Veranstaltung machen, wo sich die Kunden anstecken können? Setze ich meine Kunden diesem Risiko aus? Die Antwort ist bei den meisten klar nein. Dazu ist die Planungssicherheit nicht gegeben, speziell wegen des Widerrufsrechts der einzelnen Kantone – mit dem hat der Bund allen ein Ei gelegt.
Gibt es Leute in der Branche, die nicht von Finanzhilfen profitieren?
Um die vielen Freelancer in der Branche mach ich mir grosse Sorgen. Unser Business ist leidenschaftsgeprägt. Da gibt es Freaks die sich mal eine Musikanlage zugelegt und begonnen haben zu mischen. Plötzlich konnten sie vom anfänglichen Hobby leben. Viele haben aber kaum was auf die Seite gelegt und immer gute Preise gemacht. Sie stehen nun ziemlich alleine da und profitieren nicht im selben Mass von Bundeshilfen.
Dieses Jahr ist gelaufen. Für nächstes Jahr sieht’s nicht viel besser aus.
Die Konkurrenz wird also kleiner?
Ja. Das ist die Kehrseite der Medaille. Es gibt immer weniger Mitbewerber. Das kann dazu führen, dass der Preiskampf härter wird, aber auch, dass sich die Branche «bereinigt» – ein schreckliches Wort.
Mit welchen Events verdient die Habegger AG denn ihr Geld?
Unser Hauptgeschäft sind Generalversammlungen, Mitarbeiter- und Kundenanlässe. Alles im Bereich der Live-Kommunikation. Anfangs haben wir die Kunden bei der Technik betreut, heute helfen wir ihnen, ihre Events zu entwickeln. In meiner Abteilung Creation arbeiten dafür 14 Leute. Szenografinnen, Regisseure und Producer. Als Director bin ich dafür verantwortlich, dass die Events unseren Standards in Stil und Niveau entsprechen.
Dann hat auch Ihre Abteilung momentan nicht viel zu tun?
Im Gegenteil! Meine Einheit macht Überstunden im Moment. Die Kunden fragen uns, was sie trotz Corona machen können an Events – wir versuchen neue Lösungen aufzuzeigen. Da geht eine Tür auf, von der ich es nie für möglich gehalten hätte, dass sie so schnell aufgeht. Wenn ich beispielsweise auf unsere Kunden aus der Bankenwelt schaue, da werden wöchentlich neue Sachen möglich, die früher undenkbar waren – ein unglaublicher Schub.
Sie sprechen von Live-Streams?
Ja, auch. Die sind als Übergangslösung sicher gut und bringen uns wenigstens etwas Umsatz. Unser hauseigenes TV-Studio wird sehr oft gebucht für solche Streams. Wir bauen deshalb noch zwei zusätzliche dazu. Ich bin zwar ein grosser Fan von virtuellen Events, aber Live hat eine Kraft, die wir im Moment in der virtuellen Welt noch nicht transportieren können.
Was bleibt bei Virtuellen Events denn am meisten auf der Strecke?
Für eine ungeteilte Aufmerksamkeit der Gäste braucht es drei Faktoren: Sicherheit, Relevanz und Ästethik. Und Letztere geht im Moment total verloren. Ich sehne mich danach, wieder Events an schönen Orten zu machen, wo es den Menschen wohl ist. Deshalb predige ich auch bei Virtuellen Events: Investiert ins Design, es soll schön sein!
Wie sieht denn der Live-Event der Zukunft aus?
Wir beschäftigen uns unter dem Motto «Back to life» damit, wie trotz Schutzmassnahmen Events stattfinden können. Wir müssen eine Umsetzungsart entwickeln, die dafür sorgt, dass die Gäste nicht permanent mit dem Covid- Manko konfrontiert sind. Die Leute sollen an einen Event kommen und gar nicht merken, dass der unter Schutzmassnahmen läuft. In Montreux am Swiss Economic Forum, wo ich Regie geführt habe, wurden die 900 Gäste noch permanent konfrontiert mit: «hier nicht, da nicht, das nicht!» Das macht die Leute nur närrisch.
Und kommen sie mit Lösungen für dieses Problem vorwärts?
Es geht rasant vorwärts. Ich träume sogar von solchen Events, sie sind meine grosse Leidenschaft. Unser Anspruch ist es, Benchmarks zu setzen. Jetzt neue Lösungen aufzuzeigen, kann matchentscheidend sein – es hat nämlich noch niemand die Lösung gefunden. Wir haben die Möglichkeit der Welt zu sagen: «Schaut, Events macht man nun so!» Mit unseren Ideen konnten wir erst kürzlich einen grossen Kunden gewinnen und haben uns dabei gegen etablierte Agenturen aus London, Paris und New York durchgesetzt.
Wie fühlt sich das an?
Es ist schon ein cooles Gefühl. Plötzlich sind Veranstalter, welche beispielsweise für die Grammy-Awards zuständig sind, Mitbewerber. Mit unseren Events spielen wir nun mit in der Liga der Besten der Welt.
Mit unseren Events spielen wir nun mit in der Liga der Besten der Welt.
Der Artikel ist im ePaper der Thurgauer Zeitung erschienen: