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BZ Berner Zeitung 08/17: «Akustische Aufrüstung im Kursaal Bern»

Das Berner Symphonieorchester muss ins Exil. Doch der Kursaal, wo das Orchester in den nächsten zwei Jahren konzertieren wird ist akustisch nicht optimal. Deshalb wurde er letzte Woche aufgepeppt - mit einigen Stellwänden und viel Elektronik.

«Und nochmals von vorne.» Chefdirigent Mario Venzago hebt den Taktstock. Die Musikerinnen und Musiker setzen an. Haydn wird geprobt. Wuchtig, aber präzise ist der Klang des Berner Symphonieorchesters in den Fortissimi, glasklar in den Solostellen.

Das Orchester tönt sehr gut in diesem Raum. Das ist erstaunlich. Denn die Arena im Kursaal wurde geschaffen für Konferenzen. Für klassische Konzerte hingegen eignet sie sich weniger gut. Einige der Musiker kamen denn auch mit leichtem Unbehagen zur ersten Akustikprobe an jenen Ort, an dem das Symphonieorchester während des Umbaus des Kultur-Casinos seine grossen Konzerte geben wird. Wer je in der Arena gespielt hat, weiss ein Lied davon zu singen: Auf der Hebebühne fühlt man sich ziemlich alleine gelassen.

«Eine Spur weniger!» Nach den nächsten paar Takten ist er zufrieden: «Genau so ist’s richtig für die Musik.» Und die mittleren und hohen Töne verklingen schnell. Oder besser: verklangen schnell. Denn in diesen Tagen wird die Arena akustisch aufgerüstet. Auf beiden Seiten hinter den Musikern wurden je vier Stellwände montiert, die den Klang reflektieren. Doch sie alleine genügen nicht. Nachgeholfen wird auch mit Technik: Während das Symphonieorchester auf der Bühne probt, feilen zwei Ingenieure, die hinter ihren Computern mitten im Saal sitzen, am akustischen Raumdesign.

Komplexe Audioanlage
Der Himmel über dem Orchester hängt voller Mikrofone. 22 Stuck wurden im ganzen Saal montiert. Sie nehmen den Klang auf, der dann an einen Computer geschickt wird. Dieser bereitet das Signal für die 36 Lautsprecher auf, die an der Decke hängen und in die Brüstung der Terrasse eingelassen sind. Jeder Lautsprecher trägt einen kleinen Teil zum Raumklang bei. «Schalten Sie die Maschine nochmals aus», bittet Mario Venzago den Raumakustiker. Sogleich gibt er den Musikern wieder den Einsatz. Der Orchesterklang ist einen Hauch basslastiger und flacher. «Jetzt wieder mit Akustikdesign», sagt der Maestro, bloss um nach wenigen Schlägen bereits wieder abzuwinken.

Virtuelle Stellwände
Es gehe nicht darum, aus der Arena akustisch den lange nachhallenden Kölner Dom zu machen oder einen renommierten Konzertsaal zu kopieren, sagt Bernd Noack, Ingenieur bei Müller- BBM Acoustic Solutions. Das Münchner Unternehmen installiert weltweit sogenannte elektroakustische Nachhallverlängerungssysteme. «Wir passen den Raum lediglich den neuen Anforderungen an», sagt er. Die Arena habe an sich eine sehr gute Akustik – allerdings bloss für Sprache und elektronisch verstärkte Musik. Damit sie sich auch für unverstärkte Orchestermusik eignet, werde «gleichmässig zusätzliche akustische Energie in den Raum gespielt ». Dies geschehe, ohne dass die Musik selbst verstärkt werde. Es komme auch kein Hallgerät zum Einsatz. «Die Musik bleibt in ihrer Natürlichkeit unangetastet. Und auch der natürliche Grundklang des Saales bleibt erhalten.» Die Technik werde so dezent eingesetzt, dass den meisten Besucherinnen und Besuchern gar nichts auffallen dürfte. Vor rund einem Jahr war Bernd Noack für einen ersten Augenschein in Bern. Anfangs wurde der Raum akustisch genau vermessen. Jetzt macht der Ingenieur das Feintuning am mittlerweile installierten System. Laut seinen Messungen beträgt der Hall in der Arena rund eineinhalb Sekunden. Beim Konzert wird er auf zwei Sekunden verlängert. Zudem sorgt das System dafür, dass die mittleren und höheren Frequenzen besser zum Tragen kommen. «Wir versuchen, den Klang lebendiger und brillanter zu machen», sagt Noack. «Der Raum selbst wird dabei zu einem Teil der Musik, zu einem musikalischen Instrument.» Jurg Urfer führt in die Technikregie. Von hier aus steuern die Mitarbeiter seines Teams der Habegger-Gruppe bei Veranstaltungen jeweils das Licht, die Video- und Audioanlagen – sowie in Zukunft auch das System zum akustischen Raumdesign. «Dort hinten ist er», sagt Urfer und zeigt auf einen Einschub in einem Rack: «Das ist der Computer, der die virtuellen Raumparameter berechnet und die Lautsprecher ansteuert.» Die Investition, die weitgehend von der Firma Habegger übernommen wird, lohne sich. «Damit können wir den Zuhörerinnen und Zuhörern das bestmögliche Konzerterlebnis bieten.» Er sei sich bewusst, dass viele Liebhaber klassischer Musik solchen technischen Hilfsmitteln kritisch gegenüber stunden, sagt Urfer. «Der Klang wird sie aber überzeugen.»

Viele Säle mit Akustikdesign
Anderorts wird das genau Gleiche gemacht: Aus Kostengründen setzen immer mehr Veranstalter auf Mehrzwecksäle. Während früher Konferenzräume mit Stellwänden zu Konzertsälen aufgemöbelt wurden, bedienen sich immer mehr Saalbetreiber elektronischer Lösungen. Denn damit klingt der Raum besser als normalerweise bei baulichen Anpassungen. Die Akustik kann flexibler gestaltet werden. Und die Kosten sind tiefer. Während der Kursaal und das Berner Symphonieorchester diesbezüglich mit offenen Karten spielen, werden die Systeme zur Akustikoptimierung an einigen anderen Orten klammheimlich eingesetzt. Nun schwingt der Kapellmeister Jochem Hochstenbach den Taktstock. Der Chefdirigent Mario Venzago wandelt derweil durch den Raum. Er bleibt hier kurz stehen, hört genau hin, geht weiter in den hinteren Teil des Saals, hält dort inne und hört zu – das Kinn weit nach vorne gereckt, die Augen geschlossen. Immer wieder interveniert er: «Erste und zweite Geige bitte mehr artikulieren », wünscht er etwa. Oder er fordert etwas weniger Vibrato. Dieses verlängere den Ton. «Doch das macht hier die Maschine.» So tariert er den Klang aus. Die Musiker und der Dirigent scheinen sich immer wohler zu fuhlen an ihrer neuen Wirkungsstätte. Sie spielen unbeschwerter als noch vor einer Stunde. Auf dem Bildschirm des Raumakustikers tanzen zu ihrer Musik die Tonkurven der Frequenzganganalyse.

Die Bürgergemeinde renoviert bis Herbst 2019 das Kultur-Casino. Deshalb kann das Berner Symphonieorchester nicht dort spielen. Die meisten grossen Konzerte werden in der Arena des Kursaals durchgeführt. Einige Musikliebhaber sind nicht gerade begeistert vom temporären Wechsel in die Arena. Das Orchester hat die Abokunden im März über das genaue Vorgehen informiert. Auch die technischen Hilfsmittel zur Verbesserung des Klangs wurden thematisiert. «Der Kursaal ist das richtige Exil für uns», sagt der Konzert- und Operndirektor Xavier Zuber. Die Lage mitten in der Stadt sei ideal, die Grösse des Raums stimme, die Platzbedingungen für das Publikum seien komfortabel, und auch das gastronomische Angebot sei überzeugend. Zudem böten das Foyer und die Terrasse viel Platz und eine grandiose Aussicht, um nach dem Konzert noch zu verweilen oder dem Late-Night-Konzert zu lauschen. Apropos: Den Auftakt macht am 2. September – nach Bruckners Siebter – eine ungewöhnliche Berner Kombo: Der Pianist Florian Favre spielt mit Simon Baumann, der mit Stephan Eicher unterwegs war, sowie Wolfgang Zwiauer von Züri West und Danie Woodtli von Patent Ochsner.

Das Berner Symphonieorchester ist in dieser und der nächsten Saison nicht nur im Kursaal zu hören. Auftritte sind auch auf dem Bundesplatz, im Münster, in der Französischen Kirche, in der Sporthalle Wankdorf und im Stadttheater geplant, sowie – in kleiner Formation – an diversen Orten vom Progr über die Dampfzentrale bis zum Löscher. «Musik ist Bewegung», sagt Konzertdirektor Xavier Zuber. «Das leben wir in den nächsten zwei Jahren.»

 

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